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Deutschlands Sozialsysteme im Wartestand: Reformstau und politische Ängste

Conny und Kurt diskutieren in ihrem Podcast die politische Lage nach der Sommerpause. Insgesamt betonen sie das Fehlen von politischem Mut zur Umsetzung notwendiger, aber unpopulärer Reformen, da Politiker die Angst vor Wählerverlusten haben. Es fehle nicht an Erkenntnissen, sondern an der Umsetzung.

Der angekündigte „Herbst der Reformen“ oder „der Entscheidungen“ für Deutschlands Sozialsysteme lässt auf sich warten. Obwohl die Sozialkosten nominal steigen, sinkt ihr prozentualer Anteil am Bundeshaushalt, was die These einer Unfinanzierbarkeit (Merz) relativiert.

https://youtu.be/DwSWmyzUB7c

Rente: Boomer-Last und Sparvorschläge

Die Rente steht wegen der in den Ruhestand eintretenden Boomerjahrgänge (ab Jahrgang 1955) vor einer „Schräglage“ im Umlagesystem, die bis etwa 2035 anhalten soll. Diskutiert werden Kürzungen von 10% für Rentner mit höheren Bezügen (ab 1.000 Euro), was als erheblicher Verlust kritisiert wird. Eine weitere Option ist die Koppelung von Rentenerhöhungen an den Inflationsausgleich statt an Lohnsteigerungen. Auch die Verlängerung des Arbeitslebens proportional zur gestiegenen Lebenserwartung (ein halbes Jahr pro zehn Jahre) wird erwogen, idealerweise mit flexiblen Altersgrenzen. Die „Rente mit 63“ gilt als überholt. Politischer Mut zu tiefgreifenden Reformen fehlt, da die 20 Millionen Boomer eine entscheidende Wählergruppe sind.

Gesundheitswesen: Kostenfalle und Kommerzialisierung

Das deutsche Gesundheitswesen wird als „Molloch“ und „Supertanker“ kritisiert, das teuer und ineffizient sei, besonders das Hausarztsystem. Effizientere Strukturen wie Polikliniken oder kommunale Arzthäuser mit kooperierenden Fachärzten werden als Alternativen genannt. Problematisch ist die Kommerzialisierung durch private Investoren, die zweistellige Renditen aus den Krankenkassenbeiträgen ziehen. Eine Wiederverstaatlichung dieser Bereiche wird gefordert, stößt aber auf hohe Abfindungskosten. Gesundheitsminister Lauterbachs Krankenhausreform zur Qualitätssteigerung und Bedarfsdeckung wird grundsätzlich befürwortet, trifft aber auf lokalen Widerstand.

Bürgergeld, Zuwanderung und politischer Mut

Das Bürgergeld macht nur 4% des Sozialhaushaltes aus und dient oft als politisches Instrument zur Spaltung. Gleichzeitig wird das große Potenzial von Zuwanderern als Arbeitskräfte und Beitragszahler für die Sozialkassen durch bürokratische Hürden ungenutzt gelassen.

Trotz bekannter Lösungen fehlt es an politischem Mut und Weitblick. Die Angst vor Einkommensverlusten und Wählerstimmenverlusten führt zu „Flickwerk“ statt echter Reformen. Die Priorisierung von Rüstungsausgaben gegenüber sozialen Belangen verstärkt die allgemeine Unzufriedenheit.

Dem Pflegenotstand vor Ort begegnenKieler Sozialdezernent fordert Einbeziehung in die Pflegebedarfsplanung

Gerwin Stöcken, Kieler Sozialdezernent, fordert im Podcast Conny&Kurt eine „stärkere Verankerung der Kommunen in der Pflegebedarfsplanung“. Das bisherige System gehe davon aus, dass sich jede:r mit dem Pflegegeld die benötigte Pflegeleistung einkaufen könne. Das setze ein reichhaltiges Angebot voraus. Auch seien die Dienstleistungen von den Kassen stark reglementiert und hätten mit der Lebenswirklichkeit nicht viel zu tun. Etwa wenn der Partner dement werde oder man seine Wohnung im zweiten Stock nicht mehr erreichen könne. Stöcken fordert eine stärkere Einbindung der Kommunen, denn sie kennen den Bedarf vor Ort. Als Beispiel führt er an, dass ein Träger etwa in Kiel für 200 junge zu Pflegende, unter 50 Jahre, eine Einrichtung bauen wolle. Nur in Kiel ist der Bedarf nach so vielen Plätzen nicht vorhanden. Die Folge wäre, dass zahlreiche Menschen von ihrem Heimatort nach Kiel verlegt werden und dadurch ihr soziales Umfeld verlieren. Außerdem entzöge eine solche in Kiel in dieser Größe nicht benötigte Einrichtung Fachkräfte dem Arbeitsmarkt und belastet dadurch die bestehenden Pflegeangebote. Kiel setzt schon lange auf die Förderung von Nachbarschaften und fördert etwa mit Netzwerktagen für die 55- bis 65-Jährigen das ehrenamtliche Engagement.

Zur Person:
Der Sozialpädagoge Gerwin Stöcken wurde 2014 zu Kiels hauptamtlichem Stadtrat für Soziales, Wohnen, Gesundheit und Sport gewählt.

Beispiel Karben: Pflege lokal unterstützen

Das Pflegesystem kollabiert. Neue Wege müssen gegangen werden. Vor allem wenn man bedenkt, dass 84 Prozent Pflegebedürftigen 2021 zu Hause versorgt werden. Davon wurden 3,12 Millionen Pflegebedürftige überwiegend durch Angehörige gepflegt. Und diese brauchen dringend Unterstützung. Der Diakonieverein Karben motiviert Nachbarn zu ehrenamtlichen Engagement. Das ist eine notwendige Unterstützung der Pflege, beispielsweise bei der Körperpflege berichtet der Vorsitzende des Vereins Conny von Schumann in seinem Podcast Conny&Kurt. Der Kommune ist die Arbeit des Vereins so wichtig, dass sie die Betreuung der Pflegebedürftigen unterstützt. Die Erfahrung zeigt, so Schumann, dass das Engagement der Hilfskräfte über die vergüteten Stunden hinaus geht. „Da wird schon mal ein Kuchen gebacken“. Solche Initiativen braucht es, um das System der Pflege im unmittelbaren sozialen Umfeld zu stabilisieren, meinen Conny&Kurt in ihrem jüngsten Podcast.

Bischöfin Hofmann geht neue Wege in der Pflege

Beate Hofmann, Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck (EKKW) initiiert Modellprojekt in der Pflege, da dass jetzige System an seine Grenzen stößt. Dies hat die Bischöfin in der eigenen Familie erfahren wie sie im Podcast Conny&Kurt erzählt. Trotz großer Anstrengungen gelang es nicht eine ambulante Pflege für ihre Mutter zu organisieren. „Wir müssen ein Sorge-Netz knüpfen“, sagt Hofmann. „Wir brauchen ein neues Miteinader von dem was jemand selber kann, was die Familie kann, was die Nachbarschaft kann, was ich durch ehrenamtliches Engagement organisieren kann, was ich professionell organisieren kann und was ich technologisch organisieren kann. Dieses Miteinander müssen wir neu organisieren. Dafür brauchen wir Modellprojekte.“ Für Hofmann ist das neue Zusammenspiel verschiedener Player eine Art „Gemeindeschwester 2.0, denn die Gemeindeschwester wusste, was jemand braucht.“ Gerade die Kirchen hätten hier gute Voraussetzungen, da sie mit den Gemeinden eine gute Basis in den Sozialräumen hätten. Die Entwicklung im stationären Bereich sieht Hofmann, die vor ihrem Bischofsamt einen Lehrstuhl für Diakoniewissenschaften inne hatte, alarmierend. „Es macht mich atemlos, dass die Situation in der Politik nicht wirklich wahrgenommen wird“, sagt Hofmann. Der Grundfehler bei der Einführung der Pflegeversicherung sei die Einführung der Ökonomisierung gewesen. Die Konzernbildung werde verstärkt und „die Kleinen kommen unter die Räder“. Ihr Fazit: „Das bisherige Konzept kommt an sein Ende.“