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Religionspolitik spielt kaum eine Rolle – trotz Verfassungsauftrag

Philipp Greifenstein, Journalist der kritisch-kirchlichen Religionszeitschrift „Die Eule“, analysiert die Religionspolitik der Bundesregierung im Podcast Conny&Kurt. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner schlug vor, die Kirchen sollten sich aus der Tagespolitik heraushalten. Greifenstein sieht darin einen Ausdruck des Wunsches, die Kirchen klein zu halten. Im Koalitionsvertrag der Ampel-Parteien war das Thema Religion „ziemlich dünn“ verankert. Dies liege unter anderem am vorzeitigen Ende der letzten Legislatur und der Fokussierung auf andere dringlichere Themen im Wahlkampf. Im Vergleich zur vorherigen Großen Koalition, die höhere Gestaltungsansprüche hatte, spielen religionspolitische Fragen derzeit noch weniger eine Rolle.

Beim Thema Schwangerschaftsabbruch (§ 218) unterscheiden sich die Positionen der großen Kirchen erheblich: Die evangelische Kirche diskutiert zunehmend eine Entkriminalisierung, während die katholische Kirche auf der Strafbarkeit beharrt. Die aktuell von der CDU/CSU stark mitgetragene Bundesregierung wird diesen Weg der Vorgängerregierung voraussichtlich nicht weiterverfolgen.

Ein zentraler und seit Jahrzehnten ungelöster Punkt sind die Staatsleistungen an die Kirchen. Diese Zahlungen gehen historisch auf den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 zurück, als Ausgleich für enteigneten Kirchenbesitz, und stellen einen Verfassungsauftrag dar. Die jährlichen Leistungen, die derzeit rund 600 Millionen Euro aus Landeshaushalten umfassen, dienen unter anderem zur Finanzierung von Gehältern und Gebäudenutzung. Die Ablösung, wie von der letzten Regierung angestrebt, scheitert vor allem am Widerstand der Länder aufgrund der notwendigen Entschädigungssumme, die die Kirchen verlangen. Gleichwohl sind diese gesprächsbereit. Die finanzielle Situation der Länder ist zu angespannt. Für manche manche Kirchenhaushalte sind sie auf der Einnahmenseite von erheblicher Bedeutung. Sie sind klar von der Kirchensteuer, den Mitgliedsbeiträgen, zu unterscheiden.

Auch der Religionsunterricht, der in der Zuständigkeit der Länder liegt, wandelt sich. Angesichts sinkender Schüler- und Lehrerzahlen gibt es Entwicklungen hin zu konfessionsverbindenden oder interreligiösen Modellen. Dieses Recht auf Religionsunterricht ist eng an den Körperschaftsstatus der Kirchen geknüpft. Der Körperschaftsstatus einzelner Kirchengemeinden wird in vielen Landeskirchen zugunsten der Landeskirche geändert, was Teil umfassender Fusionsprozesse ist.

Andere Religionsgemeinschaften, insbesondere der Islam, finden im Koalitionsvertrag kaum Erwähnung. Während das Judentum durch den Staat erheblich finanziert wird, fehlt es beim Islam oft an einheitlichen Ansprechpartnern für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Fortschritte beim Körperschaftsrecht für muslimische Gemeinschaften sind seit 20 Jahren Islamkonferenz kaum zu verzeichnen. Die Frage, ob sie sich in bestehende rechtliche Strukturen einfügen oder ob neue nötig sind, bleibt offen. Die Einführung islamischer Feiertage wäre eine Möglichkeit, die eher von den Ländern als vom Bund angegangen werden könnte.

Die Kirchen sehen sich durch den Rückgang an Mitgliedern und Kirchensteuereinnahmen vor großen finanziellen Herausforderungen. Manche Landeskirchen hätten lange gezögert, auf diese Entwicklung zu reagieren. Die demografische Entwicklung mit weniger jungen Kirchenmitgliedern und mehr Sterbefällen hält an und stellt ein erhebliches Problem dar.

Trotz geringer politischer Priorität bleibt das Thema Religionspolitik relevant.

https://youtu.be/-PJZnvshqBM

Philipp Greifenstein stammt aus Dresden und wohnt inzwischen in Bad Frankenhausen. Philipp Greifenstein ist freier Journalist (Website) und Geschäftsführer des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“ (eulemagazin.de). Schwerpunkte seiner Arbeit sind die aktuelle Religionspolitik, die Missbrauchskrise in den evangelischen Kirchen, Digitalisierung und Rechtsradikalismus in christlichen und kirchlichen Kontexten sowie Ostdeutschland.