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Schleswig-Holstein: Antisemitische Vorfälle mehr als verdoppelt

Die Zahlen sind alarmierend: Antisemitische Vorfälle in Schleswig-Holstein haben sich von rund 120 im Jahr 2023 auf 588 im Jahr 2024 vervierfacht. Viele Jüdinnen und Juden trauen sich aus Angst nicht mehr, ihre Identität offen zu zeigen. Der Beauftragte für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus des Landes Schleswig-Holstein, Gerhard Ulrich, beschreibt im Podcast Conny&Kurt Antisemitismus als ein „hartes“ und „immer zunehmendes“ Problem. Er definiert Antisemitismus gemäß der von der Bundesregierung anerkannten Arbeitsdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als eine Form von Hass, der sich gegen Juden richtet, weil sie Juden sind. Dieser Hass äußert sich vielfältig, von körperlichen Übergriffen, Beleidigungen und Verschwörungserzählungen bis zu konkreten Aktionen wie dem Angeben von Adressen jüdischer Mitbürger.

Ulrich differenziert zwischen „linkem“ Antisemitismus (der Israel-Kritik mit der Verantwortlichmachung von Juden für israelische Regierungsentscheidungen verbindet), „rechts außen“ (der alte Vorurteile bestätigt) und „importiertem“ Antisemitismus (der aus Ländern kommt, in denen das Existenzrecht Israels geleugnet wird).

Das Wiederaufleben uralter Vorurteile erklärt er mit der zunehmenden Komplexität der Welt und der Suche nach Sündenböcken. Insbesondere die Corona-Pandemie (mit Verschwörungsmythen wie „Weltjudentum“) und der Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 haben antisemitische Vorfälle verstärkt. Jüdische Bürger in Schleswig-Holstein leiden darunter, für Israels Handlungen verantwortlich gemacht zu werden, wobei der ursprüngliche Hamas-Terror oft ausgeblendet wird. Ulrich betont, dass nicht jede Kritik am Staat Israel antisemitisch ist; eine Grenze sei jedoch überschritten, wenn Israels Existenz- oder Selbstverteidigungsrecht geleugnet oder Juden insgesamt dämonisiert werden. Die hier lebenden Juden seien nicht für die Politik Israels verantwortlich. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem geurteilt, dass Antisemitismus nicht unter Meinungsfreiheit fällt.

Als primäre Gegenmaßnahmen nennt Ulrich Bildung und Begegnung. Schulen und Kindergärten müssen Demokratiebildung und den Abbau von Vorurteilen fördern. Positive Beispiele sind die langjährige christlich-jüdische Zusammenarbeit der Kirchen und Sportverbände, die Austauschprogramme mit Israel unterhalten. Ulrich fordert verpflichtende Gedenkstättenbesuche für Schülerinnen und Schüler, um die Erinnerungsarbeit zu stärken.

Auch das Bewusstsein für gemeinsame kulturelle und religiöse Wurzeln, etwa in Sprache und Musik, soll geschärft werden. Gemeinsame Feste wie das Aufstellen eines Hanukkah-Leuchters neben dem Weihnachtsbaum können jüdisches Leben sichtbarer machen und Vorurteile abbauen. Der Kampf gegen Antisemitismus erfordert ständige Anstrengungen und viel Unterstützung.

Zur Person:
Landesbischof em. Dr. h.c. Gerhard Ulrich ist seit 2022 Schleswig-Holsteins Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus

Kieler CDU kämpft gegen Antisemitismus

Die CDU-Fraktion im Kieler Stadtparlament hat ihren diesjährigen Neujahrsempfang, der ungewöhnlicherweise im Mai stattfand, dem Thema Antisemitismus und jüdisches Leben in Kiel gewidmet. Die CDU strebt eine parteiübergreifende Zusammenarbeit gegen Antisemitismus in Kiel an. Eine klare Haltung vertritt die Fraktion gegenüber der AfD: Es werde keinerlei Zusammenarbeit geben, da die Partei für ausländerfeindliche und antisemitische Thesen stehe. Deren „Quatsch“ müsse in Gremien entlarvt werden, um Lügen nicht unwidersprochen zu lassen. Der Fraktionsvorsitzende Carsten Rockstein bezeichnete das Thema im Podcast Conny&Kurt als heikel, aber angesichts der aktuellen Lage (Israel-Hamas-Konflikt) und der omnipräsenten Medienberichterstattung als äußerst wichtig.

Zum Empfang wurden neben den jüdischen Gemeinden auch Vertreter:innen weiterer Weltreligionen eingeladen, um hervorzuheben, dass das Thema alle Menschen und Glaubensrichtungen betrifft. Die Berichte der Beteiligten, insbesondere von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde und der Antisemitismus-Kämpferin Nellly Eliasberg, hätten die Anwesenden, einschließlich Rockstein selbst, tief berührt.

Es wurde die Sorge geäußert, dass Antisemitismus in der Gesellschaft, auch bei bestimmten Demonstrationen, eine erschreckende „Normalität“ entwickle. Rockstein sieht den Hass auf das Judentum als direkten Angriff auf den jüdischen Glauben. Er beklagt, dass vielen Menschen, besonders jüngeren, das historische Wissen fehle und sie stattdessen von antisemitischen Parolen in sozialen Medien beeinflusst würden.

Für die politische Arbeit leitete die Fraktion die Notwendigkeit ab, mehr Aufklärung zu betreiben, beispielsweise über den historischen Kontext Israel/Palästina. Aufkleber mit Parolen wie „Zionisten töten“, die man auch schon in Kiel sah, gehen gar nicht. Rockstein betont die Notwendigkeit, zwischen dem Staat Israel und der Religion Judentum zu unterscheiden. Kritik am Handeln des Staates Israel müsse erlaubt sein, jedoch dürften keine Doppelstandards im Vergleich zur Hamas angelegt werden.

Zur Person: Seit 2024 ist Carsten Rockstein Fraktionsvorsitzender der Kieler CDU-Ratsfraktion. Er arbeitet als Abteilungsleiter bei der Sparkasse Südholstein. Seit über zehn Jahren ist er Ortsverbandsvorsitzender der CDU Kronsburg/Meimersdorf/Moorsee. Dort war er bis 2024 auch Vorsitzender des Ortsbeirates.

Bahnhofsvorplatz soll nach Emilie und Oskar Schindler benannt werden

Oskar Schindler, durch den Film von Steven Spielberg weltbekannt, verstarb am 9. Oktober 1974. Aus Anlass des 50. Todestages kommt dieser Podcast etwas früher. Wir sprachen mit Ulrike Trautwein, die Oskar Schindler als Kind in Frankfurt kennen lernte. Ihr Vater, der spätere Propst für Frankfurt, Dieter Trautwein, damals Stadtjugendpfarrer, entdeckte den unbekannten Retter der Juden bei Recherchen. Es entwickelte sich eine Freundschaft, von der Ulrike Trautwein berichtet. Vor allem die unendliche Großzügigkeit Schindlers ist ihr in Erinnerung. Aber auch die Melancholie, die ihn umgab. Am 9. Oktober 1974 starb Oskar Schindler in einem Hildesheimer Krankenhaus. Nach der Trauerfeier auf dem Frankfurter Hauptfriedhof und dem Requiem im Frankfurter Kaiserdom wurde Oskar Schindler, seinem Wunsch entsprechend, auf dem katholischen Friedhof am Berg Zion in Jerusalem beigesetzt.

Auf Betreiben von Ursula und Dieter Trautwein wurde eine Straße in Frankfurt nach Oskar Schindler benannt. Leider nur ein „Sträßchen“ wie die Initator:innen bedauernd feststellen. Es steht die Idee und Forderung im Raum, den Bahnhofsvorplatz nach Emilie und Oskar Schindler zu benennen. Die Kommunalpolitik ist gefragt.

Zur Person: Ulrike Trauwein, seit 2011 Generalsuperintendentin für den Sprengel Berlin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz

Oskar Schindler (zweiter von rechts) neben Dieter Trautwein (rechts) 1967 bei einer Diskussionsveranstaltung im Dominikanerkloster

Quellen:
Dieter Trautwein, Oskar Schindler …immer neue Geschichten, Frankfurt 2000, Societätsverlag
Hessenschau: https://www.ardmediathek.de/video/hr-retro-oder-hessenschau/interview-mit-oskar-schindler/hr-fernsehen/Y3JpZDovL2hyLW9ubGluZS8xNzY3MjY

Weltgebetstag: Texte aus Palästina überarbeitet

In schweres Fahrwasser geriet in diesem Jahr der eher gesetzte Weltgebetstag der Frauen. Seit 130 Jahren feiern Frauen aller Konfessionen weltweit nach Texten, die von Christinnen aus einem Land ausgewählt wurden. 2017 fiel die Wahl auf Palästina. Und so entstanden ab 2020 Texte und Liturgie, lange vor dem Überfall der Hamas auf Israel. Nach dem 7. Oktober schauten aber viele, etwa die christlich-Jüdische Gesellschaft oder Pax Christi genau hin und erhoben den Vorwurf des Antisemitismus. Das deutsche Weltgebetstags-Komitee überarbeitete die Texte. Die katholische Vorsitzende des deutschen Weltgebetstags-Komitees Ulrike Göken-Huismann nennt dies im Podcast Conny&Kurt Kontextualisierung. So wurde etwa das vom nationalen deutschen Komitee verantwortete Vorwort der Gottesdienstordnung neu formuliert. Mit Blick auf „die unfassbaren und grausamen Terrorakte der Hamas vom 7. Oktober 2023“ und den Gaza-Krieg heißt es dort jetzt: „Wann, wenn nicht jetzt sollten christliche Frauen aller Konfessionen sich weltweit zu Gottesdienst und Gebet, zu Klage und Schweigen, zu inständigem Bitten um Frieden versammeln?“ Die Fürbitten wurden durch eine Bitte für alle, die seit dem 7. Oktober in Israel und Palästina „in unvorstellbarem Ausmaß unter Terror, Not und Krieg und sexualisierter Gewalt leiden“ ergänzt. Den Gottesdienst am 1. März kann man auf Youtube schauen.

Kirche als Schule gegen Antisemitismus

„Wir wissen, dass in unseren Gemeinden ganz viel Toxisches passiert“, so Pfarrer Christian Staffa, der Antisemitismus-Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland im Podcast Conny&Kurt. Der Antisemitismus hat nicht nur eine lange Tradition, sondern er baut auf Typologien der kirchlichen Tradition auf, wie etwa das Verratsmotiv. „Wir müssen das an die Oberfläche bringen um es bearbeiten zu können“, so Staffa. „Da müssen wir Demokratie einüben“. Kirche als Schule der Demokratie und als Schule gegen Antisemitismus.