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Differenzfeminismus und die Fragilität der Demokratie:

Antje Schrupp erhält Luise-Büchner-Preis

In ihrem neuen Buch „Unter allen Umständen frei“ stellt Antje Schrupp drei revolutionäre Feministinnen vor, die zwischen 1870 und 1920 aktiv waren. Ein roter Faden durch das Werk ist die Figur Anthony Comstocks, eines ehemaligen Postinspektors, der sich im frühen 20. Jahrhundert der Bekämpfung von freier Liebe, Pornografie, Empfängnisverhütung, Abtreibung und geschlechtlicher Vielfalt verschrieben hatte. Comstocks Gesetze gegen den Versand „obszönen Materials“ seien heute noch in Kraft und würden in der Trump-Administration reaktiviert, um beispielsweise den Versand von Abtreibungsmedikamenten zu verhindern. Dies zeige exemplarisch, wie gesellschaftliche Errungenschaften, die als selbstverständlich galten, schnell wieder außer Kraft gesetzt werden können.

Die drei von Schrupp porträtierten Feministinnen – Victoria Woodhull, Lucy Parsons und Emma Goldman – vertraten sehr unterschiedliche Ansichten. Während Woodhull, die erste Präsidentschaftskandidatin, sich für das Wahlrecht einsetzte, kritisierten Parsons (eine aus der Sklaverei befreite Anarchistin) und Goldman (eine bekannte Anarchistin) das Wahlrecht scharf. Sie argumentierten, es sei nutzlos, solange die Gesellschaft durch Armut, Rassismus und Ausbeutung ungerecht bleibe und diene letztlich nur dazu, Unterdrückung zu legitimieren.

Die Luise Büchner-Gesellschaft „zeichnet mit dem Luise-Büchner-Preis 2025 eine engagierte Publizistin aus, die sich für das Begehren der Frauen einsetzt, historische Bezüge erläutert und zu aktuellen Themen klar Stellung bezieht.“, so die Begründung der Jury. Es wird hervorgehoben, dass für sie nicht die Gemeinsamkeit von Frauen, sondern gerade deren Verschiedenheit entscheidend ist. Sie versteht Feminismus nicht als Durchsetzung von „Fraueninteressen“, sondern als Plattform, um die vielfältigen und oft kontroversen Themen, die Frauen untereinander diskutieren, in den gesellschaftlichen Mittelpunkt zu rücken und ihnen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Feminismus sei nach Schrupps Überzeugung selbstverständlich weiterhin notwendig. Gleichberechtigung allein reiche nicht aus, da sie „kein Naturgesetz“ sei und schnell wieder verloren gehen könne, wie die aktuellen Entwicklungen in den USA zeigen. Es bedürfe eines kulturellen Wandels und einer Autorität für Frauen in dem, was sie sagen – etwas, das noch lange nicht gegeben sei. Auch in emanzipierten Gesellschaften gebe es noch offene Baustellen, wie das Abtreibungsverbot in einigen Ländern oder die ungeregelte Care-Arbeit, die überwiegend von Frauen unbezahlt geleistet wird und in der Volkswirtschaft kaum Berücksichtigung findet. Diese unbezahlte Arbeit sei jedoch fundamental für das Funktionieren der Gesellschaft und Wirtschaft.

Schrupp zieht Parallelen zwischen diesem „Goldenen Zeitalter“ vor dem Ersten Weltkrieg in den USA und der heutigen Situation. Damals wie heute seien ungezügelter Kapitalismus, Rassismus und Ausländerfeindlichkeit prägend gewesen. Die Geschichte der sozialen Kämpfe in dieser Zeit sei nicht von stetigem Fortschritt geprägt gewesen, sondern von einem permanent schlechter werdenden Zustand, gegen den die Menschen ankämpfen mussten. Die Autorin warnt davor, die Nachhaltigkeit unserer Demokratie zu überschätzen und sich auf formale Gleichheit zu verlassen. Die zunehmende politische Macht sehr reicher Individuen und globalisierter Unternehmen in den USA erinnere an die „Trusts“ der damaligen Zeit und stelle die Neutralität des Staates in Frage.

Angesichts der systematisch geplanten „Kulturrevolution“ in den USA und des Erstarkens antifeministischer und antidemokratischer Bewegungen weltweit – von Russland über die Türkei bis hin zu nationalistischen Tendenzen in Europa – sei die Frage berechtigt, ob wir „ein bisschen zu wenig revolutionär“ gewesen seien. Die These, dass das, was Frauen in den letzten 100 Jahren ins Rollen gebracht haben, nicht mehr zurückzudrehen sei, teilt Schrupp zwar im Grundsatz, jedoch warnt sie vor Selbstzufriedenheit. Das Vertrauen in einen neutralen und gerechten Staat stehe auf dem Prüfstand, insbesondere wenn sich der Kipppunkt der Funktionsfähigkeit staatlicher Strukturen in Ländern wie den USA bereits überschritten zu haben scheint.

Die Preisverleihung des Luise-Büchner-Preises an Anti Schrup findet am 23. November um 11 Uhr in der Orangerie Darmstadt statt.

Zur Person:
Dr. Antje Schrupp: Die 1964 in Weilburg promovierte im Fachbereich Gesellschaftswissenschaften in Frankfurt mit einer Arbeit zur weiblichen politischen Ideengeschichte, übernahm 2001 kommissarisch die Leitung der Evangelischen Öffentlichkeitsarbeit, war Redakteurin
der Zeitung „Frauen unterwegs“ und Mitbegründerin des Online-Forums „Beziehungsweise weiterdenken“. Antje Schrupp lebt in Frankfurt. Sie schreibt Bücher, Essays und Radiobeiträge, sie ist Bloggerin und veröffentlicht ihre Artikel in der Taz, Zeit-Online, Deutschlandfunk Kultur und vielen anderen Medien. Zuletzt sind ihre Bücher „Reproduktive Freiheit. Eine feministische Ethik der Fortpflanzung“ (2022) im Unrast Verlag erschienen, „Schwangerwerdenkönnen. Essay über Körper, Geschlecht und Politik“ (2019) im Ulrike Helmer Verlag. Weitere Titel sind u.a. „Was wäre wenn? Über das Begehren und die Bedingungen weiblicher Freiheit“ und „Methusalems Mütter. Chancen des demografischen Wandels“.

Argumente gegen Stammtischparolen

Das Wählerpotential für radikale Parteien wird auf ein gutes Drittel geschätzt. Und doch sind die zwanzig Prozent AfD-Wähler:innen keine Nazis. Vielmehr so Klaus-Peter Hufer im Podcast Conny&Kurt sind es Menschen, die sich in der hoch komplexen Gesellschaft überfordert fühlen. Hier dürfe man den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, da man sie sonst in die eigene Blase drängt. Hufer führt seit über 25 Jahren Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen durch. Im Podcast berichtet er von seinen Erfahrungen. In einer Demokratie leben zu dürfen sei ein wahnsinniges Privileg sagt der Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Duisburg-Essen. Außerdem: „In Demokratien leben Menschen gesünder, wohlhabender und messbar glücklicher. Das ist Beifang, gehört aber auch dazu,“ so Hufer.

Zur Person:
Dr. Klaus-Peter Hufer ist apl. Professor für Erwachsenenbildung an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Diusburg-Essen. Er ist Autor zahlreicher Bücher, die das Empowerment gegen Stammtischparolen zum Ziel haben.

Kirche als Schule gegen Antisemitismus

„Wir wissen, dass in unseren Gemeinden ganz viel Toxisches passiert“, so Pfarrer Christian Staffa, der Antisemitismus-Beauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland im Podcast Conny&Kurt. Der Antisemitismus hat nicht nur eine lange Tradition, sondern er baut auf Typologien der kirchlichen Tradition auf, wie etwa das Verratsmotiv. „Wir müssen das an die Oberfläche bringen um es bearbeiten zu können“, so Staffa. „Da müssen wir Demokratie einüben“. Kirche als Schule der Demokratie und als Schule gegen Antisemitismus.

Demokratie muss vor Ort eingeübt werden

Mit Detlef Ruffert kommt im Podcast Conny&Kurt ein langjähriger Kommunalpolitiker zu Wort. Ruffert war in seiner Heimatgemeinde Steffenberg 1. Beigeordneter und Vertreter des Bürgermeisters. Seit 2006 ist er Vorsitzender des Kreistages Marburg-Biedenkopf. Ruffert berichtet von der wachsenden Entfremdung. Dies habe zum einen strukturelle Ursachen, sei aber auf der anderen Seite auch einer wachsenden Polarisierung zuzuschreiben. So habe etwa die Gebietsreform dazu geführt, dass die Entscheidungen nicht mehr in den kleinen Orten und Dörfern vor Ort getroffen werden. Um der derzeit zu spürenden antidemokratische Stimmung etwas entgegenzusetzen, ist es Ruffert wichtig, dass der Landkreis etwa in den Schulen ein Jugendparlament wählt, welches auch über ein kleines Budget verfügen kann.

Das erste deutsche Parlament musste in einer Kirche tagen

Das erste deutsche Parlament zog am 18. Mai vor 175 Jahren in die Frankfurter Paulskirche ein. Die Nationalversammlung entwarf eine Verfassung für ein neues Deutschland. Warum diese Versammlung ausgerechnet in einer Kirche tagte, wer da und warum sie letztlich scheiterte, darüber sprachen Conny&Kurt in ihrem Podcast mit dem Kirchenhistoriker Jürgen Telschow, der die protestantische Kirchengeschichte der Mainmetropole erforscht hat. In der aktuellen politischen Auseinandersetzung wünscht sich Telschow, dass das Bewusstsein für die Errungenschaften der Demokratie gefördert werden. Redefreiheit und Mehrheitsentscheidungen seien ein „ganz hohes Gut“.